Sehr geehrter Herr Dr. Goetschel,
Ich bin sehr stolz, Sie als Interviewpartner gewinnen zu können. Mit großem Interesse verfolge ich Ihre Arbeit und Ihre Projekte.
Zwischen der Schweiz und Deutschland gibt es immer noch große Unterschiede im Tierschutz. Könnten Sie zu Beginn bitte diese genau aufführen und erläutern?

Foto: Dr. Antoine Goetschel
1. Sie haben mehrere Jahre erfolgreich als Tieranwalt in der Schweiz, genauer in Zürich gearbeitet.
Wieso tun Sie das heute nicht mehr und warum gibt es Tieranwälte nicht schon längst in anderen Ländern?
Afg:
„In der Tat hat das offizielle Amt des „Rechtsanwalts für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich“ in der Zeit von 1992-2010 Wesentliches zu einer besseren Durchsetzung des Tierschutzrechts
beigetragen: Die Anzahl der Fälle und die Qualität der Untersuchungen haben sich drastisch verbessert, und die Sanktionen in Tierschutzfällen wurden schärfer. Besonders fällt auch der Aspekt ins Gewicht, dass „Tiere eine Stimme haben“. In der Zeit von 2007-2010, als ich Amtsträger war, stand ich den Medien als
engagierte, fachkompetente Stimme im Bereich des strafrechtlichen Tierschutzes mit rund 700 konkreten Fällen zur Verfügung.
Als Folge einer bedauerlicherweise abgelehnten gesamtschweizerischen Volksinitiative und einer vereinheitlichenden Strafprozessrechts-Novellierung wurde das Amt ab 2011
aufgehoben. Immerhin verfügt das Veterinäramt bzw. die Gesundheitsdirektion über das Recht, Tierdelikte als „institutionelle Opfervertreter“ zu begleiten. Selber nun widme ich mich, neben meiner Anwaltskanzlei dem Publizieren (etwa „Tiere klagen an“, Scherz, 2.A., 2015) und vor allem dem GAL Projekt Global Animal
Law unter www.globalanimallaw.org. Dort fordern wir unter anderem Tieranwälte auch für Deutschland und weltweit sowie weitere effektive Verbesserungen des Tieres im Recht.“
2. Warum reicht ein Staatsanwalt nicht aus, die Interessen der Tiere zu vertreten?
Afg:
„Die Staatsanwaltschaft hat, meinen Erfahrungen gemäss und gestützt auf die Untersuchungen der Schweizer Stiftung für das Tier im Recht (www.tierimrecht.org, dort die jährlichen Auswertungen die Tierschutzdelikte), häufig zu wenig Kapazität und Fachwissen im Tierschutzrecht. Manchmal gesellt sich emotionale, um nicht zu sagen kritisch-ablehnende Haltung Heimtieren gegenüber dazu und dadurch nicht selten wenig Inbrunst, solchen Fällen in den Bereichen Landwirtschaft und der Heimtierhaltung nachzugehen. Gerade in der Landwirtschaft kommen gelegentliche politische Druckversuche mit ins Spiel. Deshalb eignet sich eine unabhängige, warmherzige aber kaltblütige institutionalisierte Interessenvertretung zur Unterstützung der Staatsanwaltschaft hervorragend.“
3. Essen Sie Fleisch?
Afg:
„Ein „Ja“ oder „Nein“ würde vom Grundproblem ablenken, über meine eigene Person hinweg auf die vermeintliche Selbstverständlichkeit der Tiernutzung einzugehen. Mir liegen, gerade mit dem Global Animal Law GAL Projekt, Fortschritte für das Tier gerade im Rechtlichen (von lokal bis global, von kurzfristig bis utopisch) am Herzen. Dafür stehe ich schon seit rund dreißig Jahren auf. Für eine Änderung des Rechts zu Gunsten der Tiere bedarf es Mehrheiten in der Bevölkerung und in den Parlamenten, und solche
nur mit den Stimmen von Veganerinnen und Vegetariern zu bewirken erachte ich für wenig aussichtsreich. Klar begrüße ich die offenbar wachsende Anzahl von sich fleisch- und fischlos Ernährenden. Allein durch den Verzicht von einzelnen ist der Weg für echte Verbesserungen noch nicht abgeschritten. Diesen gilt es
mittels eines Schulterschlusses alle am Tier Interessierten zu beschreiten, mögen die derzeit realisierbaren Forderungen, etwa von offiziellen Tieranwälten, für die einen zu wenig weit gehend
erscheinen.
Und zu Ihrer Frage konkret – ich verzichte seit 1986 bzw. 1989 auf den Verzehr von Fleisch bzw. Fisch, möglichst durchgehend auf schulmedizinische, weil am Tier getestete Medikamente, habe seit
Jahrzehnten keinen Zoo freiwillig besucht. Umgekehrt habe ich bei unseren Seminaren im Tierschutzrecht an der Zürcher Universität Wert auf einen Schlachthofbesuch mit den Studierenden gelegt. Was
für sie eindrücklich gewesen ist.“
4. Ist der Verzehr von Fleisch heute eigentlich ernährungstechnisch gesehen noch nötig?
Afg:
„Mir scheint der Verzehr von Fleisch und Fisch gänzlich entbehrlich zu sein, erfreue ich mich doch bester Gesundheit und achte ich mehr auf die Stärkung der Gesundheit als auf die Bekämpfung von
Krankheit. Rund neun von 10 Bundesbürger/-innen sehen das anders oder verhalten sich zumindest so, was ihre Konsumgewohnheiten angeht. Das Thema „Tierschutz“ allerdings auf die Frage zu reduzieren, ob sich jemand vegetarisch oder vegan ernährt, zielt für meine Begriffe am Kern der paradoxen und
komplexen Mensch-Tier-Beziehung vorbei.“
5. Gandhi hat gesagt, man könne die Größe einer Nation daran messen, wie sie Tiere behandelt. Wie behandeln wir Tiere denn Ihrer Meinung nach?
Afg:
„Gerade im weltweiten Vergleich, der mir mit dem Global Animal Law GAL Projekt am Herzen liegt, wurden – welche Beurteilung nicht alle Leserinnen und Leser freuen wird – in Deutschland durchaus Fortschritte erzielt. Die Hundegesetzgebung wurde verbessert – wenngleich gewisse Rassehundelisten etwas gar zufällig erscheinen und nicht wirklich der Erhöhung der Sicherheit dienen -, Tiere gelten nicht mehr als Sachen, braucht das deutsche Tierschutzgesetz im internationalen Vergleich, etwa was die Tierversuche, Tierzucht und Tierhaltung und die Gestaltungsmöglichkeiten der Behörden anbelangt nicht zu scheuen, und verschiedene tierfreundliche Impulse gehen auf Deutschland zurück.
Und doch darf man über den häufig mangelhaften Vollzug, die teils strukturell geradezu gewollten Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung und die Industriefreundlichkeit des Parlaments nicht hinwegsehen. Vieles gälte es in Deutschland zu verbessern.
Die Vorschläge finden sich in der Matrix der www.globalanimallaw.org wieder.
Die „Würde des Tieres“ zu schützen, wie etwa im Schweizer Grundgesetz, den Tieren eine eigentliche Stimme in Form von offiziellen Tieranwältinnen und Tieranwälten zu geben, Tierschutzrecht an den Universitäten zu lehren und darüber gezielt und unterstützt forschen zu lassen, alle Urteile und Verfügungen über Tierschutzdelikte nach §§ 17 und 18 TierSchG zu veröffentlichen und der öffentlichen Diskussion zu stellen: dies, und noch viel mehr gäbe es zu tun.“
6. Welches ist die schockierendste Erkenntnis Ihrer Erfahrung nach im Kampf gegen Tierquälerei und Missbrauch?
Afg:
„Klar habe ich schockierende Fälle von Tierschutzdelikten begleitet – es ist gleichsam alles geschehen, was vorstellbar ist. Doch beunruhigt mich mehr die Gedankenlosigkeit, mit welcher über die Bedürfnisse der Tiere hinweg gegangen ist. Ein Schweinetransporteur, welcher ohne Selbstzweifel zu Polizeiprotokoll
gibt, es sei für ihn selbstverständlich, sein dreißig Tiere aufnehmendes Fahrzeug mit fünf weiteren zu überladen: der nimmt den Tod und massive Verletzung von drei Tieren, wie damals in Kauf. Zu gerne reduzieren wir den Tierschutz auf Skandale und Missbrauchsfälle – das tägliche Voranstellen der menschlichen Interessen gegenüber den tierlichen Bedürfnissen beschäftigt mich fast mehr, als die bluttriefenden Skandale, von denen mir im Laufe der letzten dreißig Jahre praktisch alles untergekommen ist.“
7. Woher kommt Ihre Überzeugung für Tiere zu kämpfen? Sie sind ja kein militanter Tierschützer in dem Sinne, dass Sie Gesetze übertreten. Was hält Sie davon ab und wie können Tierschützer Ihnen eventuell den Weg ebnen?
Afg:
„Meiner Auffassung auch als Rechtsanwalt nach sind Gesetze dafür da eingehalten zu werden. Sind die Gesetze ungenügend, so gehören sie verbessert, wofür Mehrheiten, eine hohe Fachkompetenz der Lobbyisten und viel Geschick in der Öffentlichkeitsarbeit erforderlich sind. Tierschützerinnen und Tierschützer, welche in ihrer täglichen Arbeit Verstößen gegen das – ihnen selbstverständlich bekannte – Tierschutzgesetz nachgehen, das Gespräch mit den für das Tier Verantwortlichen suchen, nötigenfalls rechtlichen Beistand einholen und die Behörden einschalten, nehmen ihre Aufgabe zu Gunsten der Tiere in der Gesellschaft wahr. Wenn sich Missstände aufgrund struktureller Probleme häufen, so sollten sie sich – etwa auch mit Hilfe des dringend unterstützungsbedürftigen Global Animal Law – für deren Beseitigung einsetzen.“
8. Welche Projekte verfolgen Sie aktuell und was möchten Sie damit bewirken? Ich spiele auf das GAL – Global Animal Law an.
Afg:
„Das Recht erscheint mir als wichtiger Schlüssel in der Mensch-Tier-Beziehung. Es ist im Gegensatz zur Ethik durchsetzbar und kann und soll weiter entwickelt werden. Das Global Animal Law GAL Projekt unter www.globalanimallaw.org enthält vorab sämtliche Tierschutzgesetze weltweit und eröffnet so einen objektiven Vergleich und unterstützt dadurch Lösungsansätze, die in einem Land bereits Gesetz sind.
Überdies enthält die GAL Matrix die Lösungsansätze, in welche sich die Gesetzgebungen hinbewegen sollten. Was lässt sich in der eigenen Ortschaft rechtlich verbessern, im Bundesland, jeweils aufgeteilt in Rechtsetzung, -anwendung und Erziehung? Wie sollte das Bundestierschutzgesetz verbessert werden – etwa durch eine öffentliche Sammlung aller Fälle, durch Tierschutzrecht an den Unis, durch eine Novellierung des Grundgesetzes, durch Tieranwälte? In wie fern gehört die EU-Gesetzgebung tierfreundlicher ausgestattet und das Tier im globalen Recht, etwa durch die UNO besser geschützt? Unsere Vorschläge sind kurzfristiger, moderner, visionärer und utopischer Natur. Und wir laden alle Fachpersonen ein, sich mit ihren eigenen Verbesserungsvorschlägen einzubringen, welche unserem Komitee vor dem Aufschalten unterbreitet werden.
„Konvergenz der Ideen“ nennt sich das – und mir schwebt vor, dass sich die Diskussion in den nächsten Jahren zu Gunsten des Tieres dadurch versachlichen lässt und an Tiefe und an Breite gewinnt. Dass also Utopisten – etwa solche, die sich eine veganen Welt in Reichweite herbeiwünschen – Tierfreunde tatkräftig unterstützen, die sich für Tieranwälte oder für die Durchsetzung des Defektzuchtverbotes einsetzen. Weltweit halte ich ein Zusammenstehen für das Tier im Recht, ausgehend von der jeweiligen Gesetzgebung unter Einbindung der Lösungsansätze anderswo, für dringend nötig, Ressourcen schonend und Erfolg
versprechend.“
9. Seit wann glauben Menschen eigentlich, dass die Tiere ihnen Untertan sein sollen? Kam das erst mit der Bibel?
Afg:
„Die Domestikation der Tiere hat ihren Ursprung Jahrtausende bevor die Bibel verfasst worden ist. Damit ging nicht immer eine „Unterwerfung“ einher, sondern eher eine Art Vereinbarung, wonach der Mensch für ein gutes Leben der ihm anvertrauten Tiere Sorge zu tragen hat, ihm Schutz vor Gefahren und Witterung bietet und im Gegenzug die tierlichen Produkte wie Fleisch, Leder, Eier, Milch, Honig u.v.m. nutzen darf. Die Bibel kennt durchaus auch tierfreundliche Stellen, gerade auch im Alten Testament und in deren Kommentierungen, wie ich bei der Lektüre etwa eines Maimonides über das Verbot, Eier aus dem Nest der brütenden Vogelmutter zum Schutze ihrer Gefühle zu entnehmen, feststelle.
Die teils unerträglichen Verhältnisse in der Tiernutzung jeglicher Art bezüglich der Schwere des Tierleids und der Anzahl leidender Tiere in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung, in Tierversuchen, in der Heimtierhaltung, im Sport und bei Wildtieren, nahmen grob gesagt in der Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang, mit der „Entmenschlichung“ unseres Verhältnisses zum Tier als Individuum.“
10.Wie kann jeder einzelne seinen Beitrag zum Tierschutz leisten?
Afg:
„Das glaubwürdige Aufstehen für die Bedürfnisse des Tieres, das sich kundig machen über den rechtlichen Rahmen, der Verständnisvolle Umgang mit anders Denkenden ebnet den Weg dafür, dass sich tierunfreundlich gebärende Tierhaltende für Bedürfnisse des Tiers Herz und Verstand öffnen. In meinem letzten Buch „Tiere klagen an“ (Scherz, 2. A., 2015) haben wir Argumentarien über die gängigsten Haltungen zusammen getragen.
Wie mir berichtet wird, helfen diese in Diskussionen mit anders Denkenden. Und – ich verhehle es nicht – eine Unterstützung des Global Animal Law GAL Projekts über die Webseite setzt den Grundstein für einen breit verstandenen Schutz der uns anvertrauten Tiere.“
11.Unterscheiden Sie zwischen „sinnvollem“ Tierschutz und purem Aktionismus? Wie zeichnen sich diese aus?
Afg:
„Wes Herz voll ist, des geht der Mund über“, heißt es doch. Und es liegt nicht an mir, den Ton von gewissen Meinungsträgerinnen zu be- oder gar zu verurteilen. Mir scheinen solche Aktivitäten sinnreich zu sein, welche den Boden für eine Gesetzesänderung zu Gunsten des Tieres ebnen. Hierzu dient meiner rfahrung nach ein warmes Herz und ein kühler Kopf, eine Fähigkeit, sich überzeugend auszudrücken und sich über die Ursprünge und Tragweite der angeprangerten Missstände ein Bild gemacht zu haben. Andere von der eigenen Meinung zu überzeugen – gerade von solchen Tierhaltenden, die durch tierunfreundliche Praktiken ihren Lebensunterhalt verdienen – ist eine hohe Kunst.
Vielleicht ist es langfristig ratsamer so aufzutreten, dass die Angeprangerten nach einer bauschigen Diskussion doch noch Lust haben, „auf einen Kaffee“ rüber zu kommen und die eigentliche Motivation auf den Tisch zu legen. Die Meinungsvielfalt ist allerdings ein wichtiges Gut – und alles unter uns sind aufgerufen, sich eine eigene zu bilden und im Rahmen der eigenen Persönlichkeit zu äußern.“
12.Die Grillsaison ist in vollem Gange. Was halten Sie von der Massentierhaltung und den Zuständen in den Schlachthöfen? In der Schweiz hat sich ja gerade erst ein Ökobauer erfolgreich dafür eingesetzt, dass er seine Rinder auf der Weide erschießen kann, um ihnen unnötiges Leiden auf dem Weg und im Schlachthof zu
ersparen. Letztendlich steigt die Qualität des Fleisches durch eine artgerechte Haltung ja enorm. Was denken Sie über diese Möglichkeit?
Afg:
„‘Besser ist besser als schlechter‘ – denke ich ganz pragmatisch darüber. Weniger Fleisch zu verzehren ist besser als viel, keines besser als wenig – und wenn wenig, dann möglichst naturnah und „tierfreundlicher produziertes“ als aus konventioneller Massentierhaltung. In der Tat, so lasse ich mir sagen, soll ein tierfreundlicher produziertes Stück Fleisch besser als ein anderes munden. Doch weniger das halte ich für entscheidend, sondern ob überhaupt – und die tierlichen Bedürfnisse nach Sozialkontakten und das Ausleben des eigenen Bewegungsrepertoirs gehören um ihrer selbst willen geschützt; und nicht, weil uns deren Fleisch dann besser schmeckt, oder nicht?“
13.Tierversuche: Sind diese wirklich heutzutage noch nötig? Was spricht denn dafür?
Afg:
„Ich bin selber kein Befürworter von Tierversuchen und stehe mit meinem Fragezeichen an der Spitzenmedizin, an unserem schwierigem Gesundheits- und Krankheitsverständnis und der pharmazeutischen Industrie und deren manchmal gar hemdsärmligen Geschäftsgebahren nicht allein.
Wenngleich sich gerade die Industrie vor möglichen Haftungsfällen bei gefährlichen Medikamenten-Nebenwirkungen dadurch zu schützen sucht nachzuweisen, alles Mögliche gegen solche „Unfälle“ vorgekehrt zu haben. Dazu gehören im Denken der klassischen Lehre, Forschung und Entwicklung eben Tierversuche. Wobei sich seit Jahrzehnten zu Recht auch natur- und geisteswissenschaftliche Stimmen erheben, welche etwa die Übertragbarkeit von an Mäusen und Ratten gewonnenen Erkenntnissen auf den Menschen ablehnen
und versuchstierfreie Methoden für gleichwertig erachten.
Nehmen wir auch hier selber etwas an der Nase und investieren wir mehr in unsere Gesundheit – etwa durch gesunde Ernährung und Bewegung, durch ein nährendes Sozialnetz und sinnvolle Lebensaufgaben, etwa einen Beitrag zur Reduktion des Leidens zu leisten. Allzu häufig springen viele für Gebresten zum Arzt und
lassen sich irgendwelche Medikamente verabreichen mit dem Ziel, die Krankheit zu „bekämpfen“.
Im Gesamtgesellschaftlichen könnte ich mir andere Herangehensweisen zur Gesundung des Menschen durchaus gut vorstellen, die nicht auf dem Buckel von Tieren generiert worden sind.“
14.Welchen Moment in Ihrer Karriere sehen Sie als Ihren persönlichen Glücksmoment?
Afg:
„Gerne entsinne ich mich, wie das eine oder andere Gesetzesprojekt, an dem ich mit vielen anderen während Jahren gearbeitet habe, vom Gesetzgeber angenommen worden ist. Dies etwa bei der „Würde der Kreatur“ im Schweizer Grundgesetz oder beim Schaffen des Tieranwalts im Jahre 1991. Auch habe ich erst im letzten Jahr die Überzeugung gewonnen, nachdem ich „Tiere klagen an“ geschrieben habe, einem eigentlichen Bedürfnis nach Lebenssinn heraus das Global Animal Law GAL Projekt zur Verbesserung des Tierloses im Recht zu erschaffen und zu verfolgen. Einen Beitrag zur Lösung zu leisten und Wissen und Erfahrung mit dem Tier im Recht von dreißig Jahren über die Landesgrenzen hinaus zu tragen: beglückt.“
15.Was bringt die Zukunft im Tierschutz? Gibt es einen Weg zurück zum Anwalt der Tiere?
Afg:
„‘Prognosen sind besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen‘, meinte vor vielen Jahren ein bekannter Physiker. Mir sind die tier-unfreundlichen Tendenzen, etwa bei der weltweiten Zunahme des Fleischkonsums bekannt. Auch scheint sich das Thema Tierschutz – außerhalb des Fleischkonsums – aus der öffentlichen Diskussion derzeit etwas heraus geschlichen zu haben.
Und doch nehme ich ein beherztes Anpacken gerade auch bei der jüngeren Generation wahr, die Zukunft mitgestalten wollen und sich vermehrt dem rechtlichen Tierschutz zu verschreiben, sich fachkompetent und glaubwürdig in die öffentliche Meinungsbildung einzuschalten. Einen Weg „zurück“ halte ich für weniger kraftvoll als einen nach vorne, nämlich nach Tieranwältinnen und Tieranwälten weltweit im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte, von der Kommune oder, wenn zulässig, vom Bundesland oder von ganz
Deutschland aus in die Länder, welche, etwa wie Frankreich oder Italien, noch über gar kein eigentliches, umfassendes Tierschutzgesetz verfügen.
Dem Tier ist dessen Herkunftsland doch eigentlich egal, hauptsächlich ihm geschieht da wo es lebt Gutes. Deshalb darf das einmal tierfreundlich Erschaffene nicht vor Landesgrenzen halt machen. Gute Erfahrungen in der Schweiz, auch in Deutschland und viel versprechende Ansätze anderswo gehören hier eingebaut.“
16.Ihr Buch Tiere klagen an soll ein Appell an uns alle sein, die Einstellung zum Tier kritisch zu überdenken. Welches Ziel hatten Sie beim Schreiben im Sinn?
Afg:
„Mich hat der Versuch erfüllt, unsere verkorkste Beziehung zu Tieren einfach und breit verständlich auf den Punkt zu bringen, der Leserschaft mit Argumenten zuzudienen und meine eigene Sicht der Dinge an Herz und Verstand zu legen. Die „Würde des Tieres“ ist mir dabei ein besonderes Anliegen, und wenn sich manche und mit der Zeit viele wohlwollend für das Tier in Recht und Gesellschaft einsetzen – so hat „der Zweck denselbigen erreicht“.
17.Halten Sie Hundehaltung in Städten für bedenklich aus Sicht der Tiere? Was muss ein Städter seinem Tier bieten, damit es artgerecht leben kann?
Afg:
„Vorab kann man, wie ich, Tiere gerne haben, ohne Tiere zu halten. Bei mir würde ein Hund wohl ein „Hundeleben“ im schlechten Sinne führen, vermag ich Zeit und Aufmerksamkeit nicht aufzubringen, welche hierfür tatsächlich benötigt würde. Die Hundehaltung in Städten hat durchaus auch tierunfreundliche Aspekte. Als Tieranwalt mit rund 700 Tierfällen habe ich zahlreiche Verfahren von Hunden mit zu wenig Auslauf begleitet, von solchen, die in der Wohnung eingesperrt blieben, welche möglichst unauffällig leben mussten und ihr Verhaltensrepertoir nicht ausleben konnten, auf Sozialkontakte zu verzichten hatten – von Hunden in überhitzten Fahrzeugen ganz zu schweigen.
Ausgedehnte und sportlich ausgerichtete, abwechslungsreiche Spaziergänge mit dem Hund und die Möglichkeit, Sozialkontakte zu knüpfen gehören dazu, der Kontakt mit Gewässern, alles im Wissen, dass vielfach hunde-unfreundliche Normen dem entgegen stehen.“
18.Der Wolf ist wieder zurück in Deutschland. Viele Menschen scheinen dadurch verunsichert zu sein. Wie sehen Sie das?
Afg:
„Mir scheinen gewisse Tiere wie Wolf, Haie, Spinnen und Schlangen Urängste auszulösen, welche mit den tatsächlichen Verhältnissen und Gefahren nicht übereinstimmen. Die Debatte in der Schweiz hat mir gezeigt, dass dem Schafe reißenden Wolf etwa durch speziell gezüchtete und ausgebildete Schutzhunde gut begegnet werden kann. Und mehr Natur ist mir lieber als noch mehr menschengemachte Kultur.“
19.Ist die Entfremdung von Mensch und Natur inklusive Tier noch aufzuhalten? Wie könnte man das Gefühl der Getrenntheit von Mensch und Natur lindern? Es fußt ja auf einer verzerrten Wahrnehmung, Mensch und Natur sind ja eigentlich eins. Wie konnte es so weit kommen, dass sich der Mensch meist als Gegner der Natur versteht, anstatt als Teil des Ganzen?
Afg:
„Vielen unter uns fällt es ob der Lebens-, Verkehrs-, Informationsdichte und zahllosen, teils unsäglichen Ablenkungen schwer zu fallen, sich als Menschen und Individuen mit ihren eigentlichen Sorgen, Bedürfnissen und Befindlichkeiten überhaupt zu spüren; sich selbst. Von ihnen zu verlangen, darüber hinaus noch mehr Mitgefühl für andere Menschen und darüber hinaus für die Tiere und die Natur aufzubringen erinnert an Novalis‘ Satz ‚Mensch werden ist eine Kunst‘.
So wenig Vorstellungen von „Umkehr“, „Einkehr“ oder „Besinnung“ aus das Wesentliche populär sind: in ihnen verspüre ich in den letzten Jahren eine ungeahnte Stärke. Den Schutz von Tieren halte ich für eine ausgezeichnete Art von Perspektivenwechsel, uns nämlich in die Bedürfnisse anderer Lebewesen hinein zu versetzen suchen, unsere Glaubenssätze hintan stellend und dadurch relativierend.“
20.Abschließende Frage: Wie sieht Ihre Idealvorstellung eines Zusammenlebens von Mensch und Tier aus?
Afg:
„Utopien sind wichtig, etwa solche, wie sie uns im gleichnamigen Buch von Thomas Morus in Form einer Inselbeschreibung entgegen springen; oder in der prophetischen Beschreibung von Menschen und Tieren in gänzlichem Frieden. Selber könnte ich mir eine Welt vorstellen, bei denen Tiere nicht mehr missbraucht und allmählich auch gar nicht mehr „gebraucht“ werden, zu welchen von Menschen vorgegebenen Zwecken auch immer. Beim Verfolgen dieser Utopie liegen mir allerdings die Schritte hierzu am Herzen, eben auf der
rechtlichen Ebene und angepasst an das, was eine Rechtsgemeinschaft gerade als mehrheitsfähig erachtet und dem durch tierfreundliche Gesetzes-Novellierungen und deren Durchsetzung Nachachtung verleiht.“
Lieber Herr Dr. Goetschel, ich bedanke mich für Ihre Zeit und das
tolle Interview!!
Nina Morgenstern
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